„Mit den Erfahrungen, die ich hier mache, habe ich keine Angst davor, alt zu werden“

Ein Beitrag von Fadwa Al Homsi, Kommunikation & Marketing, Keppler-Stiftung

„Sie sind eine Göttin!“, sagt Anton* dankend, als die ehrenamtliche Mitarbeiterin ihm den ersten Kaffee einschenkt. Auf seinem Shirt ist der Text „Bits n Bytes“ abgedruckt – passend zu seinem ehemaligen Beruf in der IT-Branche, wie wir später im Gespräch erfahren. Es ist Donnerstagmorgen in Reutlingen Orschel-Hagen und wir sind zu Besuch beim „Treff bei ADELE“, einem Angebot der Anlaufstelle für Demenz und Lebensqualität (ADELE). Neben Anton lernen wir heute weitere Menschen kennen: sie sind jung und alt, haben verschiedene Vorlieben und Lebenssituationen, aber doch verbindet sie die Herausforderung, das Leben mit Demenz zu gestalten. Wöchentlich verbringen sie den Vormittag zusammen, dabei steht vor allem die Freude am Leben und der Begegnung im Fokus.

Die ersten Vorbereitungen sind schon im Gange: In der Küche des Gemeindesaals der Katholischen Kirchengemeinde St. Andreas kochen die drei ehrenamtliche Frauen Anna, Ursula und Antonia Kaffee und stellen allerlei Frühstücksleckereien bereit. Julia Handel, Projektleiterin von ADELE, bringt gemeinsam mit Anton frische Brötchen und Brezeln mit. „Das ist Tradition, dass Anton zum Bäcker mitgeht“, sagt Handel augenzwinkernd, während alle gemeinsam die Tischreihe decken. Der Treff bei ADELE ist ein ambulantes Betreuungsangebot für Menschen mit Demenz, die zu Hause versorgt werden, jedoch hin und wieder Zeit in geselliger Runde verbringen möchten. „Das Angebot ist sehr niederschwellig. Interessierte können regelmäßig oder aber auch nur bei Bedarf teilnehmen“, erklärt Handel, die seit drei Monaten für ADELE verantwortlich ist. Für pflegende Angehörige können durch das Angebot entlastende und wertvolle Freiräume entstehen. Teilnehmerin Marie* ist schon von Anfang an dabei und genießt die Abwechslung: „Ich lebe allein und die sozialen Kontakte hier tun mir einfach gut.“ Traditionell wird erst einmal gefrühstückt und jede:r darf heute ein Lieblingsreiseziel und die Hobbies verraten. Im sehr angeregten Austausch erfahren wir, dass Reiner* ehemals KFZ-Mechaniker war und Anton seinen Zivildienst in einem KBF gemacht hat. Gudrun ist seit vier Monaten als pädagogische Fachkraft im Team und dankbar über die gute Zusammenarbeit mit den insgesamt acht Ehrenamtlichen, die abwechselnd das Angebot begleiten.  „Alle sechs Wochen machen wir die Einsatzpläne gemeinsam und jede:r darf sich so einbringen, wie es zeitlich mit dem Privatleben vereinbar ist.“ Das Besondere an diesem Angebot sei die Möglichkeit, dass vereinzelt auch Einzelbetreuungen stattfinden. Da die meisten Gäste regelmäßig kommen, sind viele Gespräche vertraut und die Atmosphäre sehr locker. Das genießt auch Anna, die sich seit Beginn ehrenamtlich engagiert. „Ich brauche morgens meine Zeit beim Frühstück und esse gerne Müsli“, erzählt sie in die Runde. „Bestimmt brauchst du zwei Stunden!“, witzelt Thimo*, der früher mal in der Versicherung tätig war. Alle lachen. Für die 68-jährige Anna ist die Zeit beim Treff sehr bereichernd, sie ist zudem seit 15 Jahren ehrenamtliche Alltagsbegleiterin und genießt die Gespräche mit älteren Menschen. „Das Thema Altwerden ist ein Prozess, das zum Leben dazu gehört. Mit den Erfahrungen, die ich hier mache, habe ich keine Angst davor, alt zu werden. Und ich bin jeden Morgen dankbar dafür, dass ich all meine Gelenke bewegen kann.“ 

Alle bringen sich im Laufe des Tages ein: Da Anton Spaziergänge liebt, möchte er nach dem Frühstück eine Runde um das Haus. Weitere schließen sich der Idee an. Währenddessen leitet die Ehrenamtliche Antonia eine spontane Bewegungsrunde. Als Heilpraktikerin weiß sie, worauf zu achten ist und schafft es, mit Humor Spaß an den Übungen zu vermitteln. Im Nebenraum gibt es genug Equipment für kreative Ideen – so auch Schwimmnudeln, die wir für die Dehnübungen nutzen. Als wieder alle zusammenkommen, sorgt eine spontane Tanzeinlage für genüssliche Unterhaltung. Zum Abschluss tritt Marie gegen Anna und Ursula bei „Mensch ärgere dich nicht“ an und schafft es mehrmals, die Gegnerinnen rauszuwerfen. Da der traditionelle Mutscheltag ist, haben sich am anderen Tisch Gudrun und Julia Handel passende Spiele einfallen lassen.

Und dann sind die drei Stunden doch schneller vorbei, der Fahrdienst steht draußen und es wird Zeit, Abschied zu nehmen. Ein Gefühl von Zufriedenheit schwingt mit – „Es geht nach Hause“, ruft Thimo, „bis bald!“

*Namen der Gäste von der Redaktion verändert

 

Sie möchten sich ehrenamtlich engagieren? Ab April findet jeden Dienstagnachmittag das zusätzliche Betreuungsangebot „Treff bei St. Wolfgang“ im Augustin-Bea-Haus statt. Wir freuen uns über Ihr Interesse! Mehr auf der Homepage von ADELE: www.adele-demenz.de

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